Den Belichtungsumfang des Sensors ermitteln
Belichtungsumfang bedeutet in diesem Artikel, wieviele unterschiedliche Helligkeiten ein Kamerasensor ausreichend differenziert aufzeichnet. Unter "ausreichend" verstehe ich: Der Sensor zeichnet die doppelte Helligkeit annähernd als doppelten Wert auf.
Dieser Artikel ist von Relevanz, falls die Kamera im RAW-Modus fotografiert, RAW-Dateien erzeugt.
Praktischer Nutzen
Der Belichtungsumfang ist das Intervall der richtigen Belichtung. Kenne ich dies, weiß ich, wieviele Lichtwerte (Blendenstufen) ein Motiv umfassen darf, damit all dessen Details in einer (einzigen) Aufnahme abgebildet werden können.
Ist im Motiv der Unterschied zwischen hellster und dunkelster "bildwichtiger" Stelle größer, kann ich "fundiert" entscheiden, was im Bild Details enthält, was schwarz oder weiß abgebildet wird oder ob ich eine Belichtungsreihe für ein HDRI fotografieren soll.
Ich will auch wissen, wieviele Lichtwerte mehr oder weniger noch differenziert aufgezeichnet werden gegenüber dem Wert, den der Belichtungsmesser ermittelt.
Vorgehen
Ich lasse Licht mit abgestuften Intensitäten auf den Sensor fallen. Dazu fotografiere ich viele Bilder, für diesen Artikel waren es 37, bei jedem erhält der Sensor eine unterschiedliche Lichtmenge (Photonenanzahl). Die spektrale Zusammensetzung des Lichts entspricht jener des Tageslichts. Ich lasse der gesamten Sensorfläche die gleiche Helligkeit zukommen, das Testobjekt reflektiert an allen Stellen die gleiche Menge Licht. Es ist so beschaffen, dass es die spektrale Zusammensetzung des Lichts nicht ändert, also eine weiße oder graue glatte ebene Fläche. Die Belichtung zwischen zwei Aufnahmen unterscheidet sich um 1/2 bis 1/3 Lichtwert. Anschließend messe ich die Helligkeitswerte der Rohdaten jedes Bilds und erzeuge daraus eine Tabelle (Skript oder Batchdatei) sowie ein Diagramm mit Gnuplot.
Lichtspektrum sicherstellen
Da ich Farbspektren nicht messen kann, fotografiere ich im Tageslicht und habe so die erforderliche spektrale Zusammensetzung. Andernfalls bestünde die Möglichkeit, dass das Licht (viele) Frequenzen (Farben) nicht enthält, für die der Sensor und/oder Belichtungsmesser empfindlich ist. Ein "Extrembeispiel" wäre grünes Licht, das nur die Pixel belichtet, vor denen ein Grünfilter ist, Pixel mit Rotfilter zeichneten nichts auf.
Gleiche Helligkeit der Beleuchtung sicherstellen
Während der gesamten Belichtungsreihe darf die Helligkeit der Beleuchtung nicht abweichen. Die Lichtmenge, die der Sensor erhält, regle ich (nur) über die Verschlusszeit.
Deshalb fotografiere ich nachmittags bei dichter Bewölkung, deren Lichtstreuung außerdem dafür sorgt, dass das Testobjekt gleichmäßig beleuchtet wird.
Als Motiv (Testobjekt) wähle ich eine gleichmäßig graue Fläche, am besten eine Graukarte ohne Kratzer oder Schmutzflecken. Die Kamera ist auf einem Stativ befestigt ist. Ich bringe sie nahe an das Testobjekt (Abstand zur Sensorebene etwa 30 cm) und stelle die Entfernung des Objektivs auf Unendlich. Das Objektiv sollte so gut wie nicht vignettieren, ich benutze ein 50 mm-Makroobjektiv und stelle eine kleinere Blende ein. Mit einer Kamerawasserwaage stelle ich sicher, dass die graue Fläche und die Sensorebene parallel ausgerichtet sind, damit das Licht von der Fläche zu allen Sensorbereichen (ungefähr) den gleichen Weg zurücklegt.
Belichtungsreihe
Ich nutze alle Verschlusszeiten der Kamera von 1/8.000 Sekunde bis zu 30 Sekunden. Die Belichtung, die der Belichtungsmesser ermittelt ("Mittelgrau"), platziere ich in der "Mitte" des Lichtwertumfangs, beim Bereich von 1/8.000 Sekunde bis 15 Sekunden (18 Lichtwerte) ist das 1/15 Sekunde (1/8.000 Sekunde 9 mal verdoppelt oder 30 Sekunden 9 mal halbiert). Habe ich die 1/15 Sekunde eingestellt, verändere ich die Blende so lange, bis der Belichtungsmesser eine "korrekte" Belichtung anzeigt. Diese Blende verstelle ich nicht mehr während der gesamten Belichtungsreihe.
Ist die Beleuchtung zu hell (selbst) für die kleinste Blende, benötige ich einen Neutraldichtefilter. Die Blende möchte ich nicht verändern, dies führte eine weitere Variable ein, die die Ungenauigkeiten vergrößern kann. Hat die Kamera zu wenige Verschlusszeiten, verändere ich (doch) die Blende. "Zu wenige" Verschlusszeiten ist für mich ein Bereich von weniger als 15 Lichtwertstufen bei den aktuellen Sensoren.
Ich beginne mit der kürzesten Verschlusszeit (1/8.000 Sekunde) und verlängere sie um jeweils 1/2 Lichtwert, bis ich die längste Verschlusszeit erreicht habe (30 Sekunden). Für genauere Ergebnisse könnte ich die Belichtung um 1/3 Lichtwert abstufen.
Fehler
Ich weiß, es können zumindest folgende Fehler auftreten:
- Die graue Fläche hat nicht überall die gleiche Helligkeit, beispielsweise durch Materialfehler oder Verunreinigungen. Deshalb gehe ich nahe ran, richte den Sensor parallel zur Fläche aus und stelle das Objektiv auf Unendlich. Die Kamera darf keinen Schatten auf die graue Fläche werfen! Ich überprüfe das indirekt: Der Belichtungsmesser zeigt für Spotmessung (ich könnte auch Eckpunkte und weitere Punkte anmessen), Matrixmessung und Integralmessung die gleichen Werte an.
- Die graue Fläche könnte Lichtfrequenzen absorbieren oder in einem anderen Verhältnis reflektieren. Das kann ich nicht überprüfen; am besten benutze ich eine neue Graukarte, die der Hersteller hoffentlich sorgfältig produzierte.
- Die Helligkeit kann sich ändern während der Belichtungsreihe, beispielsweise, indem während einer Aufnahme eine Wolke die Sonne verdeckt, während einer anderen nicht, bei der nächsten ist eine dünne Wolkenschicht vor der Sonne, bei der folgenden eine dickere und so weiter. Deshalb fotografiere ich bei dichter Bewölkung und Stunden nach Sonnenaufgang / vor Sonnenuntergang. Die geringere Helligkeit der dichten Bewölkung stellt auch sicher, dass ich bei gleicher Blende alle Verschlusszeiten benutzen kann und die größere Lichtstreuung verhindert dunkle Schatten. Ich achte darauf, dass die Kamera keinen Schatten auf die graue Fläche wirft oder ich, indem ich mich über die Kamera beuge, beispielsweise zum Überprüfen der Verschlusszeit. Helles Glühlampenlicht in einem gegen Tageslicht abgeschirmten Raum könnte eine Alternative sein, Leuchtofflampen nicht, deren Licht fehlen Spektralanteile.
- Der Verschluss arbeitet ungenau, beispielsweise könnte 1/250 Sekunde nicht halb so lang sein wie 1/125 Sekunde. Darauf habe ich keinen Einfluss und die Abweichung bleibt mir unbekannt, lediglich bei Verschlusszeiten von mehreren Sekunden könnte ich eine präzise Stoppuhr benutzen und den Verschluss einstellen auf "Bulb". In diesem und den vorherigen Fällen könnte der Sensor nicht die Lichtmenge erhalten, die bei der Auswertung als gegeben vorausgesetzt wird.
- Ich könnte nicht ausreichend sorgfältig vorgehen beim Fotografieren und Auswerten, die Ergebnisse falsch interpretieren, die Computerprogramme nicht richtig benutzen.
Ich weiß: Aufgrund der Fehlermöglichkeiten und den mir unbekannten Wahrscheinlichkeiten, dass einer oder mehrere dieser Fehler eintreteten und wie sie das Ergebnis verfälschen, ist das Testresultat "mit Vorsicht zu genießen". Ich halte Testen jedoch für besser, als darauf zu verzichten, so habe ich wenigstens "etwas zur Hand".
Rohdaten auswerten
Der Kamerasensor zeichnet linear auf: Die doppelte Helligkeit resultiert in einem doppelten Zahlenwert. RAW-Konverter wenden eine Gammakorrektur an: Geringe Belichtungswerte werden "angehoben", helle "abgesenkt", das zu einem RGB-Bild umgerechnete RAW-Bild gibt die Sensordaten nicht linear wieder. Außerdem weiß ich nicht, was die Konverter sonst unternehmen (Weißabgleich, Schwarzpunkt, Weißpunkt, Kontrast, Gradationskurve etc.) und ich kann nicht aus dem konvertierten Bild die Sensorwerte ermitteln. Deshalb benutze ich dcraw, das die Rohdaten des Sensors in eine TIFF-Datei schreiben kann. Auf der Kommandozeile lasse ich (in einer "Schleife") von jeder RAW-Datei eine TIFF-Datei erzeugen mit folgendem Befehl:
dcraw -D -4 -j -t 0 -T Rawdatei
Die Parameter bedeuten:
- -D: Rohdaten in ein Graustufenbild konvertieren ohne Farbinterpolation
- -4: 16 Bit-Ausgabe, Weißpunkt fixiert, keine Gammakorrektur
- -j: Jeder ausgegebene Pixel entspricht einem RAW-Pixel
- -t 0: Bild nicht rotieren
- -T: TIFF-Datei schreiben
Aus der Bildmitte schneide ich einen Bereich aus und lasse davon die durchschnittliche Helligkeit berechnen. Das geht am einfachsten mit convert von ImageMagick. Die von dcraw erzeugten Bilder der Nikon D300 sind 4320 × 2868 Pixel groß. Als Bereich wähle ich 200 × 200 Pixel. Somit ist das linke obere Eck bei x=2060 Pixel und y=1334 Pixel. Der convert-Befehl lautet:
convert Datei.tif'[200x200+2060+1334]' -scale 1x1 -format '%[fx:int(65535*r)]' info:-
Die Zahlen in den ersten eckigen Klammern schneiden aus der Bildmitte einen 200 × 200 Pixel-Bereich heraus, -scale
skaliert das Bild auf einen Pixel, dabei wird die durchschnittliche Helligkeit ermittelt. Die Anweisung in Anführungszeichen hinter -format
bedeutet: Gib den Wert des "Rotkanals" aus; bei einem Graustufenbild gibt es keine Farbkanäle und convert gäbe für andere Kanäle (g, b) das gleiche aus. 65535 bezieht sich auf den Maximalwert einer 16 Bit-Datei (216 - 1); so wird der Absolutwert ausgegeben (berechnet) anstelle des prozentualen Anteils, wie das der Fall wäre bei -format '%[pixel:s]'
.
Beispiel: Belichtungskurve der Nikon D300
Den Begriff "Belichtungskurve" führte ich früher ein. Sie setzt die relativen Belichtungswerte in Beziehung zur "Dichte" (den Helligkeitswerten des Sensors). Dieses Mal habe ich die "unverfälschten" (nicht durch den RAW-Konverter modifizierten) RAW-Daten und will diese direkt benutzen anstelle einer ("künstlichen") Dichte.
Ergebnisse für die Nikon D300 tabellarisch
EV relativ ist die Abweichung in Lichtwertstufen gegenüber der Belichtung, die der Belichtungsmesser ermittelte. Grauwert ist der Zahlenwert des Graustufenkanals des TIFF-Bilds mit den Rohdaten des Sensors.
EV relativ | Grauwert |
---|---|
-9.0 | 0 |
-8.5 | 0 |
-8.0 | 1 |
-7.5 | 2 |
-7.0 | 4 |
-6.5 | 8 |
-6.0 | 12 |
-5.5 | 22 |
-5.0 | 35 |
-4.5 | 51 |
-4.0 | 70 |
-3.5 | 105 |
-3.0 | 157 |
-2.5 | 238 |
-2.0 | 324 |
-1.5 | 459 |
-1.0 | 626 |
-0.5 | 888 |
0 | 1229 |
EV relativ | Grauwert |
---|---|
0.5 | 1749 |
1.0 | 2490 |
1.5 | 3408 |
2.0 | 5114 |
2.5 | 6945 |
3.0 | 9552 |
3.5 | 13046 |
4.0 | 15247 |
4.5 | 15852 |
5.0 | 15853 |
5.5 | 15852 |
6.0 | 15852 |
6.5 | 15852 |
7.0 | 15851 |
7.5 | 15850 |
8.0 | 15848 |
8.5 | 15846 |
9.0 | 15844 |
Der Sensor zeichnet Helligkeitsunterschiede linear auf: Die doppelte Helligkeit ergibt annähernd den doppelten Wert. Beispielsweise ist der Grauwert des relativen Lichtwerts von -1 (626) bei einer Stufe mehr (0) ungefähr das Doppelte (1229), bei einer Stufe weniger (-2) ungefähr die Hälfte (324).
Der theoretische Minimalwert des Sensors von 0 wird erreicht, der theoretische Maximalwert von 214 - 1 = 16.383 nicht; die D300 habe ich auf 14 Bit-RAW eingestellt (sie kann auch auf 12 Bit eingestellt werden).
Ab etwa +4,5 Lichtwerten gegenüber der gemessenen Belichtung ist bei einem Lichtmengenzuwachs nichts mehr differenziert. Wo bei wenig Licht von Differenzierung die Rede sein kann, weiß ich nicht, würde aber sagen, ab etwa -5 Lichtwerten, denn ab dort ergibt die doppelte Lichtmenge den doppelten Sensor-Helligkeitswert.
Ergebnisse für die Nikon D300 grafisch
Abbildung: Belichtungskurve der Nikon D300. Die Grauwerte (y-Skala, Helligkeitswerte des Sensors) sind logarithmisch skaliert zur Basis 2 (wie auch die relativen Belichtungswerte "EV relativ" auf der x-Skala).
Die Grafik könnte zu der Annahme verleiten, es existiere nützliche Information auch bei geringeren relativen Lichtwerten als -5. Ich glaube nicht, dass diese "jenseits des Rauschens" liegen, denn der Maximalwert ist fast 16.000. Da sind die Unterschiede von 1, 3, 8 oder 23 winzig, die von der doppelten oder halben Lichtmenge hervorgerufen werden.
Auswertung der Ergebnisse für die Nikon D300
Anhand dieses Tests ist der Belichtungsumfang der Nikon D300 ungefähr 9 Lichtwerte und zwar von 5 Lichtwerten weniger gegenüber der Belichtungsmessung bis zu 4 Lichtwerten mehr.
Die Spitzlichteranzeige blinkte auf dem Kameradisplay ab 1/2 Sekunde, das sind 3 Lichtwerte mehr gegenüber der Belichtungsmessung von 1/15 Sekunde. Da die Spitzlichteranzeige auf einem umgerechneten (JPEG-) Bild basiert und nicht auf den Rohdaten des Sensors, habe ich noch etwa einen Lichtwert "Reserve": Blinkt die Spitzlichteranzeige auf dem LC-Display der Kamera, kann dann der RAW-Konverter noch Details aus dem Bild an dieser Stelle hervorholen, falls die blinkende Stelle bis zu 4 Lichtwerte mehr Licht erhält gegenüber dem Belichtungsmesser-Wert.
"Expose to the Right"
Will ich die hellste bildwichtige Fläche möglichst weit "rechts im Histogramm" platzieren und so das Bildrauschen minimieren, messe ich diese und stelle 4 Lichtwerte mehr ein. Ermittelt der Belichtungsmesser für die hellste bildwichtige Stelle beispielsweise 1/2.000 Sekunde bei Blende 8, stelle ich bei gleicher Blende 1/125 Sekunde ein (1/2.000 → 1/1.000 → 1/500 → 1/250 → 1/125). Im RAW-Konverter korrigiere ich die Belichtung entsprechend um 1 Blendenstufe weniger.
, 04.09.2011.